Veranstaltung: | 39. Bundesmitgliederversammlung von Campusgrün in Erlangen |
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Tagesordnungspunkt: | 4.5.1 Inhaltliche Anträge |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 29.06.2019, 14:40 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Eil-A2NEU8: Studentenverbindungen keine Plattform geben!
Antragstext
Im Deutschen Bundestag sitzen seit 2018 neun Burschenschaftler und 40
Verbindungsangehörige. Grund dafür ist vorrangig der Aufstieg der AfD, doch auch
in Union und FDP sind „Burschis“ verantwortlich für wichtige politische
Entscheidungen[1]. Das liegt an der ‚Verträglichkeit‘ von ihnen mit der
neoliberalen Gesellschaft: Sie feiern gut besuchte „Bier-Pong“-Studentenpartys,
bieten günstige Wohnungen und Berufschancen in hohen Unternehmensrängen. Gerade
in einer Zeit, in der die Mietpreise ins Unermessliche steigen und eine
egalitäre BAföG-Sicherung ungewiss ist, werden Verbindungen somit für
Studierende wieder attraktiv. Im Fokus der Verbindungspraxis steht jedoch nach
wie vor die (Aus)sortierung der Menschen nach Ungleichheiten. Das
sozialdarwinistische „Recht des Stärkeren“, die Erziehung zur "vaterländischen"
Akademischen Elite, Exklusivität und Geschichtsignoranz sind dabei
vordergründige Prinzipien. Sie werden in allen Verbindungen aufrecht gehalten,
ob konservativ oder offen-rechtsradikal.
Die gesamtgesellschaftlich erstarkende Ablehnung von marginalisierten Gruppen
(Frauen*, Ausländer*innen, Arbeiter*innen) ist provoziert durch die ökonomische
Vorherrschaft der kapitalistischen Unternehmen. Diese Tendenzen nutzt die Neue
Rechte als Anlass, um ihre menschenverachtende Ideologie erstarken zu lassen.
Neben der „Identitären Bewegung“ und „Pegida“ hetzten auch Burschenschaften und
Verbindungen gegen Minderheiten: Sie fühlen sich von ihnen in ihrem
avantgardistischen Status bedroht. Seit dem 19. Jahrhundert bis heute haben sich
völkisch-nationalistische und antisemitische Tendenzen entwickelt und erhalten:
1996 führte so der größte Dachverband der Deutschen Burschenschaften (DB) einen
"Ariernachweis" ein. Bis heute gibt es wiederkehrende Diskussionen um
ausschließende Herkunftsnachweise verschiedenster Art.
Außerdem gibt es eine Vielzahl an Turnerschaften, sowie Katholischen und
Musikalischen Verbindungen, die in ihrer genauen Ausrichtung unterschiedlich
liberal geben (z.B. schlagend/nicht-schlagend, farben-tragend/nicht farbend-
tragend). Sie stützen sich jedoch alle auf selektierende, festgelegte Prinzipien
und gehen einem konservativen, meist rechtsradikalen, Welt – und Menschenbild
nach. Ebenfalls stellen sie sich explizit an Hochschulen gegen jeden notwendigen
demokratischen Antifaschismus[2].
Campusgrün fordert im gesamten Verband den Einsatz für die Ausbildung eines
antifaschistischen historischen Bewusstseins für egalitäre
Studierendebedingungen, demokratische Partizipation und ausreichende finanzielle
Mittel für alle aus - unabhängig von Nationalität, Gender oder Herkunft. Der
Bundesverband lehnt die damit in Widerspruch stehenden unterdrückenden
Prinzipien des Verbindungswesens in ihrer Vollständigkeit vehement ab! Er
richtet sich in aller Deutlichkeit gegen das Lebensbundprinzip und hierarchische
Praktiken. Daher arbeiten wir nicht mit Mitgliedern von Burschenschaften und
Studentenverbindungen und ihrem inhärenten, historisch gewachsenen Rassismus und
Intisemitismus, Sexismus und Klassismus zusammen. Wir fordern also
- faschistischem Gedankengut in unseren Strukturen keinen Platz zu geben und
die Verbreitung aktiv zu bekämpfen;
- Aufklärungsarbeit über rechtes Verbindungswesen an den Universitäten zu
leisten;
- Emanzipatorische, antifaschistisch-historische Diskurse tatkräftig zu
fördern
[1] darunter der frühere Bundesverkehrsminister Peter Raumsauer (CSU) aus
Bayern, http://www.taz.de/Verbindungen-im-Bundestag/!5506306/, letzter Aufruf:
14.6.2019
[2] Es verstärke sich "unsere Sorge über eine immer weitergehende Einengung
politischer Freiheit im Zeichen eines mehr und mehr auch staatlich propagierten
Antifaschismus" (Hauptausschuss der DB, 30.6.2001, AstA Uni Hamburg (2005):
Falsch verbunden…Reader zum Verbindungs(un)wesen in Hamburg, S. 17).
Begründung
Historisch: rassistische, antisemitische und völkische Ideologien
“Das Erziehungsbild der Härte, an das viele glauben mögen, ohne darüber nachzudenken, ist durch und durch verkehrt. Die Vorstellung Männlichkeit bestehe in einem Höchstmaß an Ertragenkönnen, wurde längst zum Deckbild eines Masochismus, der (…) mit dem Sadismus nur allzuleicht sich zusammenfindet. Das gepriesene Hart-sein bedeutet Gleichgültigkeit gegen den Schmerz schlechthin. Dabei wird zwischen dem eigenen und dem anderer gar nicht einmal so sehr fest unterschieden. Wer hart ist gegen sich, der erkauft sich das Recht, hart auch gegen andere zu sein, und rächt sich für den Schmerz, dessen Regungen er nicht zeigen durfte, die er verdrängen musste.«
Theodor W. Adorno: Erziehung nach Auschwitz
Die Berufung auf traditionelle, deutsche Riten der heutigen Verbindungen hat ihren Ursprung im 19. Jahrhundert. Als einst differenziert-liberales Anliegen richteten sich studentische Corps gegen die Macht des preußischen Fürsten – aber auch gegen die aufklärerischen Ideen der Französischen Revolution (vgl. AstA Marburg, S.9[1]). Um organisiert für eine deutsch-nationalistische Bourgeoisie („Ehre, Freiheit und Vaterland“, AstA Hamburg, S.7[2]) einzustehen organisierten sich die zurückgekehrten Soldaten nach den „Befreiungskriegen“ 1815 gegen Napoleon an Universitäten in Burschenschaften. Diese Gruppierungen schlossen Frauen, Ausländer*innen und Nicht-Christ*innen aus und lebten in Wohngemeinschaften zusammen (vgl. ebd.). Aus dieser Idee entwickelte sich ein ansteigender Antisemitismus: 1817 wurde beim Wartenburgfest eine Bücherverbrennung von Schriften jüdischer Schriftsteller veranstaltet (vgl. AstA Marburg, S.9), welches gegen die burschenschaftliche Vorstellung des deutschen „Volksthumes“ stand. Um ihre pseudo-wissenschaftliche Legitimation zu stützen zogen sie sozialdarwinistisch-rassistische Wissenschaft hinzu (vgl. ebd.)[3]. Sich einst sich noch gegen die Feudalherrschaft wehrend, entwickelten sich die Burschenschaften zu Unterstützern von Kaiserreich und Elite und waren damit offene Gegner von sozialistischen Arbeiter*innenbewegungen (vgl. ebd.). 1902 gründete sich der Dachverband „Deutsche Burschenschaften“ (DB), welcher den Kampf gegen das Judentum als deutsche, also seine, Hauptaufgabe postulierte (vgl. bpb[4]). Außerdem wurde die DB Mitglied der Kolonialgesellschaft und unterstützten personell sowie finanziell die imperialistische Ausbeutung afrikanischer Länder (u.a. Mithilfe beim Genozid im heutigen Namibia, vgl. AstA Marburg, S.9).
Durch das Ende der Monarchie und den ersten Weltkrieg stellte man sich die Frage nach dem Neuaufbau der Gesellschaft. Burschenschaftler, von denen viele an der Front gekämpft hatten und sich nach der „Niederlage“ in paramilitärischen Freikorps zusammenschlossen, beeinflussten diese Umbruchzeit in ihrem Sinne. Das bedeutete, dass die Organisierung vom „Gesunden Wille des Volksorganismus“ und der „Verwurzelung von Blut und Boden“ bestimmt war (ebd.). In der Weimarer Republik agierten sie gegen demokratische Forderungen und beteiligten sich u.a. an der Ermordung Liebknechts und Luxemburgs und an der Niederschlagung des Spartakus-Aufstandes (vgl. ebd.). In ihren Grundsätzen von der Regierung der 20er Jahre unterstützt, fanden die Burschenschaftler ihren Anschluss an den Deutschen Faschismus und ebneten aktiv den Weg für den Antisemitismus in der Gesellschaft (vgl. AstA Hamburg, S. 8). In Hitler sahen sie die Erfüllung aller ihrer deutsch-nationaler Wünsche. Sie waren teilweise für die Gründung des NSDStB an deutschen Hochschulen verantwortlich und sahen sich damit als „Träger und Künder des 3. Reiches“ (AstA Marburg, S.12) an. In diesem Sinne veranstalteten sie sowohl die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 wie auch den Verrat jüdischer Kommiliton*innen an das faschistische Regime. Ab 1935 verordneten die meisten ihre Mitglieder in die SA/SS und mussten sich schließlich auflösen, um „vollends bei der Frage der rassistischen Erneuerung und Widergewinnung des völkischen Artgefühls“ als nationalsozialistische, studentische Avantgarde mitzuwirken (vgl. ebd.). Im Zuge der „Entnazifizierung“ nach dem 2. Weltkrieg und dem Machteinfluss der „Alten Herren“ innerhalb von deutscher Elite und Universitätsnetzwerken wurden Burschenschaften trotz Verbot der Alliierten neu - oder wiedergegründet (vgl. bpb). Das Aufarbeiten der Geschichte geschah in den Verbindungen und Burschenschaften so gut wie nicht[5], bis in die 60er Jahre waren so noch 30 Prozent der Studenten in Burschenschaften vernetzt. Einen Umschwung gab es erst mit den Protesten der 68er-Bewegung, in der auch viele Studierende für ein Studium abseits von Tradition und Geschichtsvergessenheit kämpften – damit verloren auch die Burschenschaften eine Vielzahl ihrer Mitglieder (vgl. AstA Hamburg, S. 8).
Aktuell: Tradition, Praxis und Menschenbild
Allen Studentenverbindungen und Burschenschaften gemein ist das „Lebensbundprinzip“: Die Mitglieder verpflichten sich, der Gemeinschaft auf Lebenszeit anzugehören, zum Absolvieren eines „guten Studiums“, der Planung und Durchführung festlicher Events und der Verbreitung der Ideologie in der Öffentlichkeit (z.B. auf dem Campus). Außerdem dem „Keilen“ neuer Studierenden durch das Anpreisen von günstigen Mieten und guten Berufschancen, und dem Zahlen eines Mitgliedsbeitrages nach Beendigung des Studiums (von dem nachfolgende Mitglieder profitieren). Um ihre Ausrichtung zu untermauern, wählen Verbindungen ihre eigenen Wahlsprüche, z.B. „mens sana in corpore sano!“ (In einem gesunden Körper wohne ein gesunder Geist!)[6] oder „vir tutti semper corona“ (Dem verdienste seine Krone)[7]. Die Mitgliedschaft ist hierarchisch organisiert: Als „Leibfux“ hat man eingeschränkte Rechte und ist dem „Faxe“ (ATV Silencia zu Mainz[8]) unterstellt, muss ihm unbedingten Gehorsam entgegenbringen. Als Voll-Aktiver „Bursche“ folgt man den Anweisungen und Befehlen der zahlenden „Alt-Herren“, welche sich einmal pro Woche von den ‚Aktiven‘ zum ‚Ess und Schunk‘ und „generationsübergreifenden Gesprächen“ (ebd.) einladen lassen. Um zu einer ‚Führungsposition‘ mit „Pflichtbewusstsein“ (ebd.) zu werden, müssen harte Erziehungsmethoden durchlaufen werden: Es gibt in jeder Verbindung spezielle Trachten, Wappen, Sprechweisen und Riten. Dazu gehört meist ein verpflichtendes Sportprogramm (s. ebd.), das Liedersingen (u.a. Volkslieder, z.T. alle drei Strophen der Nationalhymne), oft Mensuren (Fechtkämpfe, um seine „Männlichkeit“ zu beweisen, „Schmisse“ werden mit stolz getragen und dürfen nicht medizinisch versorgt werden). In einem Semesterprogramm sind zahlreiche Pflichttermine angeführt (vgl. ebd.). Auch die „Kneipe“ und der „Kommerz“ unterstehen oft einer ständigen Erniedrigung: Auf Toilette gehen ist nicht erlaubt, Kleider – und Sitzordnung sind festgelegt. Die Füxe bedienen und müssen trinken, wenn der „Herr“ es anordnet („Rest weg!“). Bei Regelverstoß werden „Bierkrüge“ verordnet. So werden strenge Hierarchien reproduziert (vgl. AstA Hamburg, S. 10). Frauen und Ausländer*innen sind in manchen Verbindungen zwar seit kurzem erlaubt, die männlich-weiße Herrschaft jedoch dominant, rassistisch (ausländische Kommiliton*innen dienen globaler Ausweitung der deutsch-nationalen Interessen)[9] und sexistisch (Frauen seien „männlichen“ Traditionen nicht gewachsen, dienen meist zum Schmuck als „Coleur-Damen“, AstA Hamburg, S. 19).[10] Schlussendlich gibt es also de facto keine Möglichkeit des sich-Einbringens. Ein aktives Verbindungsmitglied ist die folgende Masse und gleichzeitig der Herrscher.
[1] AstA Phillips-Universität Marburg (2016):Verbindungswesen kappen! Eine kritische Betrachtung Marburger Verbindungen
[2] AstA Uni Hamburg (2005): Falsch verbunden…Reader zum Verbindungs(un)wesen in Hamburg
[3] u.a. bezogen sie sich auf den antisemitischen Historiker Heinrich von Tretschke („Judentum, Franzosentum wohin wir blicken. Es ist Aufgabe der christlich-germanischen Jugend, das auszurotten, denn uns gehört die Zukunft", vgl. HH, 7)
[4]http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/256889/burschenschaft--en; letzter Aufruf: 14.6.2019
[5] 1957 verkündete so ein Mitglied der Germania Marburg: „Ich bin durchaus der Meinung, dass die Nationalsozialistischen Konzentrationslager als politische Maßnahme am Platz waren“ (M, 13)
[6] ATV Silesia zu Mainz
[7] Corps Borossia Breslau zu Köln und Achen
[8]http://atv-silesia.de/, letzte Aufruf: 14.6.2019
[9] „Diese jungen Araber und Neger […] sind oft sehr empfindlich und leiden schon wegen ihrer Hautfarbe und wegen der Rückständigkeit ihrer Länder an einem gewissen Minderwertigkeitskomple. […]. [Sie sind] noch beeinflussbar, und wenn wir sie menschlich […] bei uns aufnehmen […] werden sie später, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren, zu den […] besten Propagandisten für die Probleme Deutschlands werden.“ (A. Peinmann in: Corps Zeitung Nr. 64, 1963)
[10] "Unser Burschentum ist immer auf eine bestimmte männliche Gruppe abgestimmt. Die menschliche Weltordnung ist auf das Männliche ausgerichtet" (Burschenschaftliche Blätter 5/1980)
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